Abschiedsbrief ohne Abschied?

Bevor ich dieses mal ins Krankenhaus gehe, muss ich ein paar verrückte Entscheidungen treffen. Ein paar Dinge sind klar, ich sollte eine Patientenverfügung und eine Generalvollmacht für Bankgeschäfte und viele andere Dinge, die man in einer möglichen geistigen Umnachtung nicht mehr tätigen kann unterschreiben. Ich musste eine Unterschrift für mögliche Intensivstationaufenthalte unterschreiben, bei dem ich den Ärzten eine Vollmacht gebe um alles mögliche versuchen zu können um mein Leben zu erhalten. Ein paar andere Entscheidungen stehen zur Debatte, die sehr viel einschneidender sind.

Ich habe Krebs und vor mir steht erneut eine Chemotherapie die es diesmal in sich hat. Mit 26 hatte ich einmal den Gedanken, falls es jetzt vorbei ist mit meinem Leben, dann war es wenigstens bis hierhin fantastisch. Ich hatte bereits soviel erlebt und ein derart freies Leben gehabt, dass ich wirklich zufrieden sein konnte. Das kann sicherlich nicht jeder in diesem Alter behaupten. Der Tod ist natürlich trotzdem nie eine Option. Das ist heute , sechs sieben Jahre später, anders. Ich darf nicht sterben. Ich habe drei Kinder und eine Frau und somit Verantwortung. Verantwortung am Leben zu bleiben und meine Hauptverantwortung ist, Teil dieser Familie zu sein.

Wenn man tot ist, kann man nicht Teil des Lebens sein, zumindest nicht aktiv. Soll ich also meinen Kinder einen Brief schreiben, bevor es nicht mehr möglich ist? Was soll da drin stehen? Soll es ein Brief sein, der ihnen auf Augenhöhe im Erwachsenenalter begegnet? Weisheiten aus meinem Leben? Ich glaube wichtiger ist es, ihnen von dem Hier und Jetzt zu erzählen und was wir miteinander verbracht haben. Unsere Kinder sitzen gebannt da, sobald man von der Zeit erzählt als sie kleiner waren und wehe man hört auf zu erzählen.

Wie ist unser Leben aktuell und welche Beziehung haben wir überhaupt zueinander. Dinge über die man sich selber auch viel zu selten Gedanken macht. Ist es meine Pflicht diesen Brief zu schreiben? Meine jüngste Tochter, wird sich an ihren Vater nie erinnern können. Mein Sohn, vier Jahre alt, wird Bruchstücke aus dieser Zeit mitnehmen und meine Tochter fünf Jahre alt, wahrscheinlich ein paar mehr. Alles was vor dem siebten Lebensjahr passiert, wird in der Masse Platz für Neues machen. Für mich ein schrecklicher Gedanke, für sie wird evtl. immer etwas fehlen von dem sie nur schemenhafte Erinnerungen haben.

kurz vor meiner ersten Chemo

meine erste Chemo

Mir graut es davor, ihnen das aufzubürden. Es würde sich deshalb in ihren kleinen Köpfen verankern, weil dieser Moment ein zu spürender Wendepunkt in ihrem Leben wäre. Die Menschen um sie herum, würden sich verändern und jeder würde bewusst oder unbewusst mit ihnen anders umgehen als zuvor, was natürlich auch jetzt schon latent der Fall ist. Die Zeit des Schocks und der Trauer sind mit Sicherheit ein Teil der nicht mehr vergessen wird.

Mir fällt es schwer, sich das Unmögliche vorzustellen und ich glaube auch nicht daran. Kann ich so einen Brief schreiben? Zumindest keinen der von Abschied handelt, denn an diesen glaube ich einfach noch nicht.

Viele Gedanken gingen so kurz vor dem Beginn durch meinen Kopf. Ist das heute der letzten Abend zusammen am Abendbrottisch? Zum letzten mal zusammen mit den Kindern in ihrem großen Hochbett verbringen und kuscheln? Die große Verabschiedung im Kindergarten, sehr oft habe ich meine Tränen unterdrücken müssen. Jedes Kind einzeln in seiner Gruppe verabschiedet und den beiden großen gesagt, dass sie gut auf die anderen beiden aufpassen sollen. „Mein Sohn, du bist jetzt der Mann im Haus, passe gut auf unsere Mädels auf. “Tochter, du bist die älteste und musst Verantwortung übernehmen“ – Verantwortung erklären – Sie ist tatsächlich eine starke Persönlichkeit mit ihren fünf Jahren und fähig stressige Situationen zu entschärfen. Ihr traue ich meine vorläufige Abwesenheit zu, den beiden anderen nicht. Sie werden es schwerer haben. Ich werde drei Monate, mehr oder minder isoliert stationär im Krankenhaus verbringen. Kinder kein Zutritt. Drei Monate!? Augen zu und durch! Natürlich habe ich Angst aber vielmehr richtig Bock dem Krebs einen derart vor den Latz zu hauen um danach glücklich über seine Niederlage und meinen unseren Erfolg zu sein.

Ich musste unterschreiben, dass mir bekannt ist, dass meine Wahrscheinlichkeit nicht zu überleben unter 5% liegt. Was soll mir das sagen? Also mit knapp vier prozentiger Wahrscheinlichkeit gehe ich drauf? In meinem Alter allerdings, so die Ärztin, liegt es eher unter einem Prozent. Ich würde nicht von der Chemotherapie sterben, sondern von einem möglichen Infekt. Davor habe ich tatsächlich Angst, Angst vor einem blöden unglücklichen Zufall der mich entweder tötet oder Matschepampe aus mir macht. Diese Therapie ist so hart, dass sie fast alle Abwehrkräfte gen null senkt und meine Stammzellen komplett eliminiert. Dazu musste ich zuvor mein eigener Stammzellenspender werden. Diese Stammzellen die ich bereits gespendet habe, werden mir kurz nach der Therapie wieder im sehr kalten Zustand zugeführt. Dabei kann mein Herz derart abkühlen, dass es sehr sehr langsam wird und ich erneut ein Mittel gespritzt bekomme, dass mein Herz am schlagen hält. Klingt total prickelnd für mich.

Ich bin über das alles sehr froh. Es sind nicht meine Kinder die diese Diagnose haben und auch nicht meine Frau. Das wäre für mich unerträglich und mich in die Rolle meiner Frau zu versetzen, macht mir klar das es gut so ist, wie es ist. Sich über seine Familie Sorgen machen zu müssen, ist viel schwerer als selber betroffen zu sein. Ich bin stark und habe die Kontrolle. Morgen geht es los.

  10 comments for “Abschiedsbrief ohne Abschied?

  1. Stefan
    14. Oktober 2015 at 9:19

    Hey Marcel,
    wir kennen uns zwar kaum, aber natürlich unabhängig davon, wünsche ich dir und deiner Familie viel Kraft für die nächste Zeit und dass du deine optimistische Zuversicht behältst.
    …und wenn alles durch ist, sieht man sich nächstes Jahr beim EM-Public Viewing in der Friedrichshainer Touri-Meile…
    VG Mülli (Do.-Rockz-Runde)

  2. Marko
    9. Oktober 2015 at 0:21

    Hallo Marcel,

    wir beten für dich und deine Famiie!
    Der stärkste Vers der Heiligen Schrift, den ich dir schicken möchte ist:
    Psalm 23
    1 Ein Psalm Davids.
    1 Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.
    2 Er weidet mich auf grünen Auen und führt mich zu stillen Wassern.[1]
    3 Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen. [2]
    4 Und wenn ich auch wanderte durchs Tal des Todesschattens, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, die trösten mich.
    5 Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über.
    6 Nur Güte und Gnade werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar.

    Gottes Segen,
    LG aus Berlin – Mitte

  3. 7. Oktober 2015 at 21:24

    Lieber Marcel,

    es ist schlimm für mich zu wissen, was Ihr nun durchmacht, was Du nun durchmachst und es macht mich sehr betroffen. Aber ich weiß, dass Du den Krebs kräftig in den Arsch trittst und das wiederum macht mich froh. Zur Frage, ob Du einen Brief für Eure 3 Kinder schreiben sollst – schwierig. Vielleicht wäre ein Video besser. So oder so und wenn es nur für die 3 Monate ist, so haben sie ein bewegtes Bild von ihrem Papa, können ihn sehen und hören. Und ich bin mir ganz sicher, dass alles gut wird, so dass es keinen Abschied bedarf ausser dem für 3 Monate. Bleib stark – für Dich, für Deine wunderbare Frau und Eure tollen Kinder. Alles Liebe sendet Dir das Angelauge 😉

  4. Matthias Strahl
    7. Oktober 2015 at 19:56

    Ich wünsche dir alles alles gute. Ich glaube an dich und deine Stärke die du immer und immer wieder bewiesen hast. In diesem Sinne…lass dich nicht unter kriegen…!!!

  5. Frank Schneider aus JW
    7. Oktober 2015 at 19:41

    Hallo Marcel,

    Ich bin nicht der Typ für viele Worte, wie du vielleicht weißt, daher lass mich sagen: Tritt ihm in den Arsch. Sei stark, denn Niederlage ist keine Option!

    Viel Erfolg
    Frank

  6. Susan
    7. Oktober 2015 at 19:15

    Hallo Marcel,
    in Gedanken sind alle bei Dir und Deinen Lieben. Halte Durch! Du schaffst das!
    Alles Gute! LG

  7. Tim
    7. Oktober 2015 at 18:50

    Alles wird gut.

  8. Sven B.
    7. Oktober 2015 at 18:06

    Hey Marcel,
    Jetzt geht es also nun doch los. Kacke irgendwie. Warum die erste Chemo nicht richtig wirkte oder warum es so spät erkannt wurde… Darüber ließe sich unnütz lange philosophieren. Jetzt kommt also die Chemo Dampfhammer Methode und du hast Angst. Das kann ich gut verstehen und hoffe das es alles nach Lehrbuch klappt, auch wenn sich die Details in diesem Lehrbuch abenteuerlich anhören.

    Das Leben fängt erst an wenn du Kinder hast… Oh man wie oft habe ich als junger Mann darüber gelacht. Jetzt mit zwei Kindern sieht die Welt schon ganz anders aus. Jetzt gibt es Menschen die auf dich angewiesen bist und für die du der größte bist. Jetzt hat das Leben angefangen und schon volle Fahrt aufgenommen. Wer will da schon freiwillig aussteigen?

    Als ich von deiner Erkrankung erfuhr war ich auch nachdenklich und hatte die gleichen Gedanken an meine Kinder. Wie würde ich reagieren? Wie intensiv würde ich jeden Moment mit den Kindern genießen wollen, wenn ich so eine beschissene Diagnose erhalten würde?
    Ich hatte zwar bei der Geburt meiner Kinder, wie ein vorbildlicher Konsument, das Beispiel aus der Google Werbung (https://www.youtube.com/watch?v=R4vkVHijdQk) aufgegriffen. Aber egal wie viele Momente man teilt, egal wie viele Fotos und Geschichten man so im Fall der Fälle hinterlassen würde. Die Kinder aufwachsen zu sehen und sie ins Erwachsenenalter führen ist 1 Million mal besser.

    Deine Frau sagt immer: Sorben sind zäh. Das glaube ich auch. Bei dem Zeug was man in Jugendtagen alles gegessen, geraucht, geschnupft und getrunken hat… Da ist selbst die Chemo ein Klacks 😉 Danach schön auf Monk machen, niemanden anfassen etc. und wenn du noch ein paar Stammzellen brauchst, die DKMS hat meine Daten. Ich würde dir welche abgeben.

    Mit deinen Kindern hattest du ja sehr viel Glück, alle gesund und munter.
    Umso mehr bin ich gespannt auf die härteste aller Proben, die Pubertät deiner Töchter 😀
    Das wird ein Heidenspaß, lass dir diesen Spaß nicht von ein paar Bazillen nehmen.

    bis demnächst
    Sven aus P. bei B. in der Nähe von S.

  9. Doc
    7. Oktober 2015 at 17:56

    Lieber Marcel,

    ich war wenn auch nur sehr kurz Wegbekleiter von dir in einer sehr spannenden Zeit (Trueman) … und habe mich gefreut dich vor einigen Jahren wieder in Berlin zu treffen … !

    Und ich bestehe darauf DICH in einigen Jahren wieder zu Treffen … und zwar bei bester Gesundheit … !!!

    Ich wünsche DIR auf diesem Wege … ALLES GLÜCK der Erde … !!!

    Beste und liebe Grüße aus Mainz-City
    … Doc …

  10. Peter schirrmeister
    7. Oktober 2015 at 17:19

    Hallo Marcel.
    Habe gerade mit Schrecken deinen Brief gelesen und so von deinem Schicksal erfahren. Ich wünsche dir auf diesem Weg viel viel kraft und wünsche dir das du gesund und wieder stärker aus den Umständen herraus kommst, dir und deiner Familie zuliebe. Ganz nach dem Motto „was uns nicht umbringt macht uns stärker“ lass dich nicht unterkriegen und gib die Hoffnung nicht auf. Alles gute, du schaffst das.

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