Als ich die Diagnose bekam…

Jeder stellt sich eventuell einmal die Frage wie es ist, die Diagnose Krebs zu erhalten. Ich erhielt sie eigentlich zweimal. Beim ersten mal wollte ich es nicht so recht glauben, beim zweiten mal konnte ich mich nicht mehr wegducken. Ich saß bei meinem Orthopäden und wir werteten das CT aus, welches ich unbedingt machen wollte, weil dieses mal der Schmerz anders war als ich ihn durch die üblichen Beschwerden kannte. Er meinte mein Lymphknoten hinter dem Bauch ist stark angeschwollen und das liegt nicht mehr in seinem Bereich. Was soll das heißen Lymphknoten, bla bla? fragte ich. „Na es sieht nach einem Tumor aus aber dazu sollten ein paar Tests her“. Die Schwester versuchte es noch herunterzuspielen aber es erklärte eigentlich Einiges. Meine Schmerzen lagen tiefer, als dass es Rückenschmerzen sein konnten und ich fühlte mich in den vergangenen Monaten müder als sonst. Völlig bedröppelt schlürfte ich aus der Praxis und steuerte meinen Hausarzt an, der schleunigst einen Bluttest machen sollte. Auf dem Weg dahin habe ich darüber nachgedacht, wie ich es zu Hause meiner Frau beibringen sollte oder ob ich überhaupt erst einmal was sage. Ich entschied mich es vorerst für mich zu behalten und die Last allein zu tragen. Ich malte mir das Bild des starken Familienoberhaupts, der heroisch seine Familie vor Sorge und Schaden bewahrt.

Das hat die ersten 30 Minuten zu Hause auch ganz gut funktioniert. Ich konnte es einfach nicht für mich behalten, zu groß die zu berichtende Sensation. Ich bat die Kinder in ihr Zimmer zu gehen und das reichte eigentlich schon aus, dass meiner Frau klar war, was jetzt kommt. Ich bin mir nicht mehr sicher aber ich glaube sie nahm es vorweg, bevor die Kinder überhaupt dachten die Küche zu verlassen. Anstatt wie von mir erhofft, jammernd und weinend auf den Boden zu fallen, war ihr erstes Kommentar „Wir schaffen das“. Ich war beeindruckt, obwohl etwas mehr Theatralik ruhig hätte sein können. Trotzdem wird es einem erst richtig bewusst, wenn man es ausspricht. „Ich glaube, ich habe Krebs Schatz.“ Wie gesagt, bevor dieser Satz viel, wusste sie anscheinend dass er kommt.

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Nach vielem hin und her fanden wir auch auf einem Beipackzettel eines Medikamentes was ich nahm, die Nebenwirkung „mögliche Vergrößerung der Lymphknoten“ in sehr seltenen Fällen. Da war die Antwort, wenn man nur richtig sucht. Geschafft! Das ging echt schnell. Tolle Sache. Das Wochenende war gerettet, nur die Ergebnisse des Bluttests standen noch aus. Irgendwie haben wir es wirklich geglaubt.

Als ich drei Tage später von einem Abschiedsessen meines Chefs nach Hause kam, waren die Schmerzen so stark, dass ich mit dem Taxi ins Krankenhaus gefahren bin. Im Übrigen scheine ich nicht der Erste zu sein, der nach erhöhten Alkoholkonsum die Diagnose Krebs erhält bzw. bemerkt. Auch bei Lance Armstrong wurden die Schmerzen unerträglich, als er ein paar Gläser mehr hatte. Hier wird es medizinische Gründe für geben.

Im Krankenhaus half nur nach vielen Versuchen das stärkste Schmerzmittel. In der Kombination mit dem Restalkohol im Blut war ich nun für den Krankentransport ins nächste Krankenhaus gewappnet. Mir gegenüber saß eine ältere Dame, die den im Delirium torkelnden Mann etwas argwöhnisch betrachtete. „Ist er betrunken?“ fragte sie. Der Fahrer und sein Begleiter, baten sie zu Schweigen. Ich sagte nur „nein, ich habe Krebs.“ Plötzlich war sie beschämt still. Ich ging noch einmal raus um mich zu übergeben, bevor wir losfuhren. Ich hatte eben erst die Diagnose erhalten und selbst die Krankentransportfahrer und eine Schwester waren schockiert einen so jungen Mann derart leiden zu sehen. Das die Dame eigentlich recht hatte verschwieg ich natürlich, denn ich war hier das Opfer, noch angenehm betrunken und mit Schmerzmitteln vollgestopft. Die Übelkeit war natürlich Mist, ansonsten war ich eigentlich gar nicht so wirklich Herr meiner Sinne und war auch eher froh, dass die Schmerzen weg waren. Ich hatte wirklich Krebs und das wurde mir langsam immer mehr bewusst. Es dauerte einen Tag bis ich erfuhr welchen Krebs ich habe, alle gingen von Lymphknotenkrebs aus, doch es war Hodenkrebs (Keimzellenkrebs). „Gute Nachricht Herr K. Sie haben Hodenkrebs und morgen früh entfernen wir einen Hoden“. STOPPPPP! Sie sagten gute Nachricht…?“ Ich hätte mir von allen Krebssorten den besten herausgesucht, sagten die Ärzte. MEIN HODEN! Frau Doktor! Lange Rede kurzer Sinn, mit einem Hoden ändert sich eigentlich nichts, denn der andere übernimmt die Funktion des Entfernten.

Natürlich möchte ich live dabei sein und keine Vollnarkose, wenn sie mir über die Leiste den Hoden herausziehen samt seiner Stränge. → Nicht!

Ich muss zugeben, dass habe ich erst drei Minuten vor der OP entschieden. Die Empfehlung einer Anästhesistin, sie wäre bei solchen Sachen lieber wach und wüsste was passiert, hatte mich Anfangs überzeugt. Je näher der Termin kam, umso sicherer war ich mir, dass nicht erleben zu wollen. Außerdem wurde mir erklärt, dass die zukünftige Chemotherapie in vielen Fällen eine Unfruchtbarkeit verursacht. Nun, das sollte mir unfassbar egal sein. Was für ein großes Glück, dass ich für mich entschieden habe, früh Vater zu werden. Unsere Planung war eh abgeschlossen und ich hatte bereits mein drittes Wunschkind meiner Frau untergejubelt. Sie wollte nur zwei, ich wusste es besser. Unsere jüngste Tochter hat es uns und insbesondere meiner Frau sehr einfach gemacht. Sie ist immer zufrieden und einfach nur ein großes Glück nach unseren beiden Terroristen die nur ein Jahr auseinander sind und sich dementsprechend gut Zoffen können. Ob ein Kind oder drei, es ist dein Los den Tod nicht als Option in Betracht zu ziehen.

Meine Frau gehört zu der Kategorie, die für Schwierigkeiten wenn es um die Gesundheit geht wirklich ein Händchen hat. Sie findet einfach aus der Eigeninitiative heraus, wo der Schuh bei unseren Kindern drückt und merkt sich vor allem die Sachen, die sie in diesem Zusammenhang liest. Das hat unseren Kindern ungemein geholfen und sollte nun auch für mich gelten. Mit „wir schaffen das“ meinte sie es ernst und übernahm oft die Initiative wenn ich schon keinen Nerv mehr dazu hatte. Sie kennt jedes Kraut und fast jedes Nahrungsmittel und weiß was diese Bewirken. Ihr Fundus an Wissen in diesem Bereich übersteigt bei weitem den Normalverbraucher. Jetzt galt es nur noch Augen zu und durch.

Meiner restlichen Familie noch reinen Wein einzuschenken war dann noch einmal eine andere Sache. Das wird durchaus etwas Schwieriger, denn seiner Mutter von Krebs zu erzählen, ist genau der Horror den ich nun als dreifacher Familienvater nur zu gut nachvollziehen kann. Es gibt kaum etwas Schlimmeres. Ob man nun schon Erwachsen ist oder nicht, ändert an der Nachricht nicht viel, sie haben vor allem noch das Kind im Kopf was ihnen hilflos in den ersten Jahren die Windeln vollgehämmert hat.

Ein wirklich tolles Lied  von Rolf Zukowski, was ich mit den Kindern immer gern gesungen hatte, sollte mir nun nicht mehr so leicht über die Lippen gehen:

  8 comments for “Als ich die Diagnose bekam…

  1. 5. Dezember 2019 at 1:56

    Zu seinem Geburtstag ein Dreivierteljahr spater, am 6. Marz, ist er ein letztes Mal zu Hause. Sie lachen, er klatscht in die Hande, wie er das immer gemacht hat, wenn er sich freute. Seine Frau muss weinen und er dann auch. Sie wei?, es geht jetzt nicht mehr lang. Sie wusste schon so lange, dass der Tod kommen wird, aber wenn er sich dann wirklich ankundigt, ist es doch anders, als sie dachte. Der Tod ist kein Moment, er ist ein Prozess, wie die Geburt, bei der es auch kein Zuruck gibt.

  2. 16. August 2017 at 6:26

    Ich sollte am selben Tag noch in die Uni Klinik nach Frankfurt verlegt werden, meine Mutter hat mich begleitet. Ich musste wahrend der Chemo auch sehr viele Tabletten schlucken, was mir gar nicht so leicht gefallen ist, doch ich habe es gemacht- Augen zu und durch.

  3. Anki
    21. Dezember 2015 at 18:53

    Hallo Marcel,

    Vor ein paar Jahren habe ich dich über Truman kennengelernt.
    Heute Morgen kamst du mir in den Sinn. Und nun bin ich betroffen davon, wie das Leben spielt.
    Ich wünschte ich könnte die Zeit für dich und deine Familie zurückdrehen damit es nicht zum Krebs kommt. Unbeschwert bleibt.

    Ich werde nun deinen Weg hier begleiten.
    Wünsche dir und deinen Lieben ein schönes Fest 🌲

  4. Carina
    9. November 2015 at 17:22

    Man das ist ja echt doof, aber du schaffst das. hast schon ganz andere Sachen gemeistert. Wenn ich dir helfen kann sag Bescheid meine Schwägerin hat gerade den Kampf gegen den Krebs gewonnen.Wirklich gewonnen die Ärzte hatten sie schon aufgegeben. Und sie ist gerade 40 geworden. Also wie gesagt, wenn ich dir helfen kann, sag Bescheid manchmal hilft das.

    Schön das du so eine tolle Frau an deiner Seite hast. Familie ist die stärkste Kraft die man braucht

  5. Merit-Seto
    9. November 2015 at 15:26

    Ich freu mich riesig, dass du eine so tolle Frau hast, die dich so großartig unterstützt. Was du schreibst gibt mir das Gefühl, dass du in wirklich wirklich guten Händen bei ihr bist und das ist das wichtigste, während ich auf den Beitrag „Geschafft!“ warte. :-)

  6. Mario
    9. November 2015 at 6:51

    Hallo . Ich hab Grad deine Geschichte gelesen . Ich kann sie mit dir teilen . Ich hab auch die Diagnose hodenkrebsgruppe bekommen und parallel dazu kam die Trennung von meiner damaligen Frau . Es war eine harte Zeit. Die erste OP ,die Entfernung des hoden war noch recht einfach . Nach einem Jahr kamen 3 Zyklen chemo, die ich sehrgut vertragen hab . Leider stellte man später fest, daß sich der Lymphknoten im Bauch sich negativ veränderte . Es folgte eine schwere und lange OP . Lymphknoten entfernen , Venen und Aorten ersatz, Kürzung vom 12fingerdarm . Später die 2.OP . Teilleberentfernung . Heute ist das alles 1 Jahr her . Bin wohl auf und hab große Freude am Leben und geh voll arbeiten . Bin auch wieder in einer neuen Beziehung, die mich mit voller Kraft begleitete. Mit freundlichen grüßen mario

    • Marcel
      9. November 2015 at 7:28

      Wow, was da manchmal noch alles mit dran hängt. Beruhigt mich zu hören, dass alles gut ging, obwohl ich mir so eine OP noch gern ersparen würde. Mal schaun, bisher sieht es danach aus. Falls es doch kommt, frage ich besser noch einmal bei dir nach.

  7. Sven B.
    9. November 2015 at 6:29

    Naja, da hat deine Frau alles gesagt was nötig war.
    Wir schaffen das.

    Wer es nicht glaubt der höre den Song https://www.youtube.com/watch?v=aBgNaEIz3YE :)

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